[Freifunk-Bonn] Elektrosensibilität
hede
ffunk5279 at der-he.de
So Mai 31 13:39:45 CEST 2015
Am Sun, 31 May 2015 10:32:50 +0200 schrieb saju manodo <sajumanodo at me.com>:
> leider gibt es bei den Elektrosensiblen wenig echtes Fachverständnis.
Allerdings.
Vorsicht - tl;dr - Rest der Mail ignorieren, wenn grad kein Interesse am Lesen eines längeren Textes besteht, der eigentlich nur das wiedergibt, was hier Allgemeinwissen sein dürfte. :-)
Wenn er wirklich die aufgenommene Strahlungsleistung verringern will, dann sollte er _alle_ elektronischen Gegenstände in der _eigenen_ Wohnung verbannen, bevor er auf _irgendetwas_außerhalb_ seiner Wohnung zu Sprechen kommt. Denn _jedes_ elektronische Gerät ist ein elektromagnetischer Strahler¹. Und zwar ein breitbandiger und durchaus intensiverer als die Antenne eines Gerätes, das Daten auf einem bestimmten Band sendet. Das Netzteil des Routers emittiert mit gewisser Wahrscheinlichkeit insgesamt mehr Strahlung als die Antenne. Ebenso natürlich jegliches Netzteil eines anderen Gerätes. Nur halt unerwünscht und auf ganz anderen Bändern. Und Schaltnetzteile dabei sogar noch gepulst, was ja besonders böse sein soll. Dennoch haben die Leute mehr Angst vor der Antenne als vor dem Netzteil.
¹) Und nicht nur elektronische Geräte sind Strahler, auch nicht-elektronische Dinge können elektromagnetische Wellen emittieren.
Von der Sendeleistung eines Routers beim Nachbarn kommt so gut wie nichts zuhause an. Die Empfangselektronik des eigenen WLAN-Gerätes muss schon ziemlich genau wissen, wo und mit welchen Methoden es ein Datensignal zu suchen hat, um aus dem permanent anliegenden Hintergrundrauschen diese Daten "extrahieren" zu können. Die Datensignale sind so gut wie gar nicht von diesem permanent und immer anliegenden Hintergrundrauschen - das in Sibirien nicht geringer ist als in einer deutschen Innenstadt - unterscheidbar. Das geht sogar so weit, dass die Empfangsleistung eines Nutzsignals _unterhalb_ der Rauschleistung liegen kann. Bei W-CDMA zum Beispiel. Da ist es völlig unmöglich, dass man davon etwas spüren kann, wenn man auch mit technischen Geräten ohne das Wissen des Spreizcodes keinerlei Signal nachweisen kann.
Was die echten wissenschaftlichen Studien zu diesem Thema untersuchen sind daher die Sender und Fälle, in denen man nah an diesem Sender dran ist. Zum Beispiel im üblichen Betrachtungsabstand eines Fernsehers(!) oder das Handy am Ohr. Ja, das kann möglicherweise sehr wohl Schäden verursachen. Dort wird immerhin tatsächlich Strahlung emittiert, die deutlich über dem natürlichen Rauschen liegt. Auch wenn vieles da dennoch fragwürdig ist - wie Erbgutschäden etc. - denn es geht hier ja um nicht ionisierende Strahlung. Btw. auch da wieder ein guter Punkt: Wir sind ständig von ionisierender Strahlung umgeben, die unser Erbgut tatsächlich gefährdet. Diese ist allerdings natürlich und auch - wie schon oben - in Sibirien ebenfalls vorhanden. (Erwähnen muss man hier Röhrenfernseher, die eben solche ionisierte Strahlung genau Richtung Zuschauer aussenden. Ein Umstand, der recht witzig erscheint, wenn Menschen ihr Wissen über Elektrosensiblität gegenüber WLAN aus dem Fernsehen haben und das da schon seit längerem verfolgen.)
Aber darum geht es ja eben gerade nicht, dass der Freifunker hier den Router innerhalb der Wohnung des elektrosensiblen oder innerhalb des Kindergartens aufstellen möchte. Es geht um weiter entfernte Orte. Und in dem Fall ändert sich durch einen Sender mehr oder weniger die Strahlenbelastung nicht mehr als durch natürliche Fluktuationen in der natürlichen Hintergrundstrahlung. Dem natürlichen, nicht menschengemachten Rauschen um uns herum. Peaks gibt es in dieser natürlichen Strahlung ebenso. Hört man im Radio. Sieht man im analogen Fernsehen. Bei digitalen Empfängern werden sie durch die Fehlerkorrektur (FEC) herausgefiltert.
Dennoch muss man Elektrosensibilität natürlich ernst nehmen. Die Leute haben ein Problem und leiden und wollen, dass sie ernst genommen werden. Das sollte man dann auch. Das ist nichts eingebildetes, das Leiden ist real. Egal woher die Ursache jetzt nun kommen mag...
Ja, die Auswirkungen gefühlter Belastung jedweder Art sind real. Auch Homöopathische Präparate funktionieren und ihre Wirksamkeit wird in der Wissenschaft nicht _unbedingt_ angezweifelt. Der Nocebo-Effekt wurde ebenso wie der Placebo-Effekt zu Genüge wissenschaftlich untersucht und wird allgemein unter Fachleuten _nicht_ angezweifelt. Er funktioniert. Man muss sich nur klar machen, _weshalb_ und unter welchen Umständen. So lange derjenige daran glaubt, elektrosensibel zu sein, wird er in dem Moment auch leiden, wenn er weiß, dass da ein strahlendes Gerät ist, das einem seine elektronischen Hilfsmittel anzeigen. Und die Existenz eines Freifunkrouters zu prüfen ist halt ziemlich einfach.
Und Leute, die meinen, von etwas betroffen zu sein, haben ein Interesse daran, sich Gehör zu verschaffen. Wenn sie sich dabei von denen ignoriert fühlen, an die sie sich wenden, wenden sie sich an andere. Weitere Nachbarn zum Beispiel. So etwas von Seiten Freifunk zu ignorieren, fänd ich also recht ungünstig.
Wichtig ist zu versuchen, die Betroffenen aufzuklären, weshalb das eigene Gerät ein entferntes Netz - also ein auf eine elektromagnetische Welle aufmoduliertes Datensignal - anzeigen kann. Nämlich weil es dieses aus einem insgesamt wesentlich intensiveren Hintergrundrauschen herausfiltert. Etwas Kleines wird aus einem Größeren Ganzen heraus gefiltert. Der Datenstrom an sich ist in Relation zur Gesamtleistung (Hintergrundrauschen) unbedeutend - im Empfangsbereich eines Senders ab einem gewissen Abstand!
Konkret in diesem Beispiel hier hängen passende PDF an, die dazu geeignet sein könnten, jemanden "mit den eigenen Mitteln" zu schlagen. Sie beziehen sich auf Sender in direkter Nähe wie das Telefon am Ohr oder den eigenen<sic> Fernseher, eigenes DECT, eigenes WLAN, halt Geräte in der eigenen<sic> Wohnung. Nicht ohne Grund. Da kann man ansetzen und den Unterschied zu Geräten beim Nachbarn herausstellen, jedwede Elektronik in der eigenen Wohnung als mehr gefährdend herausstellen. Der Unterschied ist nur, dass diese kein Datensignal auf die von ihnen emittierte Strahlung aufmodulieren und man im typischen Haushalt keine Empfangsgeräte besitzt, die diese dann empfangen und anzeigen.
Und sie beziehen sich auf kommerzielle Sender, die _wesentlich_ höhere Sendeleistungen haben als ein heimischer Router.
Selbst da kann man aber zeigen, dass insbesondere der Abstand wichtig ist. Ein kommerzieller Hochleistungssender in 45 Metern Entfernung (nur 45 Meter!) strahlt ungefähr mit einer Flächenleistung/Leistungsdichte, die der eines kleinen Mobilgerätes (Handy) in 2,5 Metern Entfernung entspricht. (vgl. [1])
Und wie oft ist man nun näher als 45 Meter an einem Handysender als 2,5 Meter an einem Handy? Wahrscheinlich ist er wohl nie näher als 45 Meter an so einem Sender, aber ziemlich oft direkt am DECT-Telefon oder Handy...
Quadratisches Wachstum (womit die Sendeleistung im Volumen abnimmt) ist halt doch schwer vorstellbar. Um die Leistung von einem Handyfunkmast zu empfangen, der man beim Handy am Ohr ausgesetzt ist, muss man schon ziemlich nah an diese Dinger ran, vor denen man schon in 50 Metern Entfernung rein intuitiv weit mehr Angst hat als vor so einem Handy, das man sich ja doch so unreflektiert ständig ans Ohr hält...
Ach ja, insbesondere das Paper vom BUND macht einen umfangreichen und sehr wissenschaftlichen Eindruck. Bei genauerer Betrachtung aber genau das eben doch nicht. Sie beschäftigen sich nur sehr knapp und eher oberflächlich mit den tatsächlichen Gefahren für den Menschen. Und wo sie es tun, nehmen sie Quellen her, die von sich selber eher das Gegenteil zeigen als das, was BUND zeigen möchte. So wird "Comparison of the effects of continuous and pulsed mobile phone like RF exposure on the human EEG" als Quelle angeführt, die zeigen soll, "dass elektromagnetische Felder gravierende Störungen des vegetativen, kognitiven, hormonellen und immunologischen Systems bewirken können". Die Autoren selber kommen aber eher zum Gegenteiligen: "... no effect was demonstrated for either modulated or unmodulated radiofrequency exposures."
Ebenso andere Verweise. Ich habe unter den Stichproben keine gefunden, der ich vertrauen würde. Darunter natürlich auch welche, die eindeutig feststellen, dass es einen Effekt durch die Strahlung gibt. Dass zum Beispiel eine untersuchte Gruppe in unmittelbarer Umgebung eines Handysenders schlechter schlief als eine Vergleichsgruppe. Das Ergebnis ist natürlich nachvollziehbar, wenn die jeweiligen Gruppen wissen, dass sie unter einem starken elektromagnetischen Strahler schlafen oder eben nicht². ;-)
Viel energischer geht BUND dann aber darauf ein, was sie doch gerne ändern möchten und fordern und fordern und fordern...
²) Als Beispiel: Ich hab kürzlich in einer Gemeinschaftsunterkunft neben einem starken Schnarcher schlafen müssen. Er hatte das zuvor angekündigt und ich war gar nicht begeistert. Die Nacht hab ich dann tatsächlich schlecht geschlafen. ... ehm... obwohl er ausgerechnet die Nacht fast gar nicht geschnarcht hat, was er selber auch kaum glauben konnte...
Sorry, ich könnte hier glaub noch ewig weiter schreiben, auch wenn mir klar ist, dass das mehr Monolog denn sonst was ist. ;-)
Grüße
hede
[1] http://wingover.ch/Elektrosmog/
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